Bücher und Kulinarik: Freundeskreis Städtepartnerschaft stimmt sich auf die Fahrt nach Torre Pellice ein
Mörfelden-Walldorf – Wer mehr über Italien erfahren wollte, war kürzlich im Treffpunkt Waldenserhof richtig. Der Freundeskreis Städtepartnerschaft hatte zu einem gemütlichen, literarischen Abend eingeladen. Zur Freude der ersten Vorsitzende Monique Schmitt waren mehr als 40 Zuhörer zum Vortrag der Bibliothekarin Jutta Duchmann gekommen.
Ehrenamtliche hatten zudem ein Buffet mit italienischen Spezialitäten vorbereitet, das bei einem Glas Wein genossen werden konnte. Der Abend diente der Einstimmung auf die bevorstehende Reise des Freundeskreises Städtepartnerschaft nach Torre Pellice im Oktober.
Duchmann, ehemalige Leiterin der Stadtbibliothek in Neu-Isenburg, gab einen kurzen Überblick über Mörfelden-Walldorfs norditalienische Partnerstadt, in der es immer etwas Neues zu entdecken gebe. Dann nahm sie das Publikum auf eine spannende literarische Reise nach Italien mit, in welcher die Bibliothekarin einen Überblick über die Vielfalt der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts bot.
Hierbei gab sie dem Publikum zahlreiche Lesetipps mit auf den Weg. Ob zeitgenössische oder historisch bedeutsame Literatur, Gedichte, Krimis, Romane, Reiseliteratur, unterhaltsame und ernste Erzählungen: Kaum ein Genre wurde ausgelassen.
Mit Natalia Ginzburg und Primo Levi wählte Duchmann bei ihrem literarischen Streifzug bewusst zwei bedeutende Literaten aus Norditalien aus. Für beide war Turin, die größte Stadt in der Nähe von Torre Pellice und ein bedeutendes kulturelles Zentrum, die prägende Stadt ihres Lebens. Levi wurde dort 1919 geboren und wuchs dort auf. Der studierte Chemiker schloss sich 1943 den Partisanen an, die gegen die Besatzungstruppen NS-Deutschlands und deren faschistische Kollaborateure und Mussolinis Marionettenregierung von Hitlers Gnaden kämpfte. Levi wurde Ende 1943 von faschistischen Milizen gefasst und vor eine schreckliche Wahl gestellt: entweder als Partisan sofort erschossen oder als Jude deportiert zu werden. Levi entschied sich für letzteres und kam im Februar 1944 nach Auschwitz. Seinem Transport gehörten 650 Menschen an, von denen über 500 sofort von den Nazis ermordet wurden. Als Chemiker wurde Levi als Zwangsarbeiter bei der IG Farben in Auschwitz-Monowitz eingesetzt, wo er synthetisches Gummi herstellte. Er gehörte zu den wenigen Überlebenden, die 1945 von der Roten Armee befreit wurden. Levi konnte schließlich nach Turin zurückkehren. Seine schrecklichen Erlebnisse verarbeitete er literarisch in seinem bedeutenden Werk „Ist das ein Mensch?“, aus dem Jutta Duchmann Passagen vorlas.
Das Buch zeichnet sich durch große Genauigkeit aus, was die Erzählung noch eindringlicher macht. Levi schildert die NS-Verbrechen aus der Perspektive eines Zeitzeugen, der stets aufmerksam beobachtet. Einfache Gegenstände, wie Schuhe oder ein Löffel, sind wichtig zum Überleben.
Das Buch steht nicht nur für spannende und gleichzeitig auch oft humorvoll erzählte Familiengeschichte, sondern auch für ein wichtiges Stück italienischer Historie. Erzählt wird über die bedeutenden jüdisch-piemontesischen Familien Levi und Olivetti und deren Engagement gegen den Faschismus.
Mit Francesca Melandri und Elena Ferrante stellte Jutta Duchmann zudem zwei der bedeutendsten italienischen Schriftstellerinnen der Gegenwart vor. Melandri hat sich insbesondere mit der Kolonialgeschichte Italiens kritisch auseinandergesetzt und diese in ihrem Werk „Alle, außer mir“ literarisch verarbeitet.
Elena Ferrante ist ein Pseudonym, die Autorin will ihre Anonymität wahren. Insbesondere mit der vierbändigen „Neapolitanischen Saga“ hat sich die Autorin einen Namen gemacht. Im vierbändigen Romanzyklus wird die Lebensgeschichte von zwei Freundinnen aus einem ärmlichen Viertel in Neapel erzählt. Beide sind überdurchschnittlich begabt, aber in ihrer Wesensart grundverschieden. Sie gehen einen unterschiedlichen Lebensweg, verlieren sich dabei aber nie ganz aus den Augen. Die Geschichte der Freundinnen gibt auch einen guten Einblick in die Geschichte und Gesellschaft Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg.
Text: FreitagsAnzeiger Mörfelden-W., 30. August 2024
Fotos: Petra von Gerstdorff