Waldenser und Widerstand, Wein und Wiedersehen – ein Reisebericht

Eine 30-köpfige Reisegruppe machte sich am Donnerstag, 8. September, auf, die italienische Partnerstadt Mörfelden-Walldorfs, Torre Pellice, in den Cottischen Alpen, südwestlich von Turin, zu besuchen. Nach langer, aber angenehmer Fahrt durch die Schweiz und das imposante Aostatal begrüßte uns die kleine, charaktervolle Stadt bei strahlendem Sonnenschein.
Die Forresteria Valdese, das Café Londra, die kleinen Läden und Straßen – vielen ist es schon vertraut und immer wieder überraschend schön und lebendig.
Und immer wieder erstaunte die Freundlichkeit, mit der wir überall empfangen werden.

Der Freitag begann mit einem informativen Stadtrundgang auf den Spuren der Waldenser und der Geschichte des Widerstands – im Stadtbild unserer Partnerstadt nicht voneinander zu trennen. Die Via Beckwith flankieren die stattlichen, in einem warmen Gelb gehaltenen Einrichtungen der waldensischen Kirche – Collegio, Tempel, Museum, gepflegte Gärten. Im Kontrast dazu die nachdenklich stimmenden schlichten Gedenksteine und Straßennamen, die an die Gräueltaten der SS und der italienischen Faschisten in den Jahren 1943-45 erinnern. Manche bekannte Walldorfer Namen tauchen auf den Gedenksteinen auf, darunter Rivoir (=Reviol), Giordano (=Jourdan) und Gaydoul.

Teils ernst, teils amüsant erläuterte Alfred J. Arndt die historischen Hintergründe und Begebenheiten, warum es zur Städtepartnerschaft kam und welche Aspekte sie prägen. Er lenkte den Blick nicht nur auf die vielen Walldorfern bekannten waldensischen Motive, sondern führt auf unserer kleinen Tour auch zur katholischen Kirche und weist auf die historische und baugeschichtliche Bedeutung dieser Kirche hin, die auf Betreiben des Bischofs von Pinerolo vom Maurizianer-Orden als Gegengewicht zur waldensischen Bevölkerung gebaut wurde. Ihre Einweihung im Jahr 1844 erfolgte in Anwesenheit des Königs von Sardinien-Piemont und war eine religiös-politische Machtdemonstration, die in der heutigen Zeit durch eine betont pazifistische Ausrichtung der örtlichen Kirchengemeinde abgemildert wird.
Im Anschluss konnte man über den großen Wochenmarkt schlendern, Maronencreme, einen Löffel aus Olivenholz oder eine kleine Caffetiera erstehen.
Am Nachmittag erwartete die Gruppe ein erlebnisreicher Besuch im Filzmuseum von Villar Pellice. In den Naturstein-Gebäuden der ehemaligen Filzfabrik wurde vor Kurzem ein museumspädagogisch vorbildliches Konzept entwickelt, um dieses alte Handwerk und seine industrielle Entwicklung anschaulich zu dokumentieren.
Der Leiter des Museumsvereins, Sergio Bertin, führte nach einer Einführung, die von Elke Torrini nahezu synchron übersetzt wurde, durch die Ausstellungsräume und erläuterte Produktionsbedingungen und hervorragend erhaltene und gepflegte Maschinen und Werkzeuge – einige davon aus deutscher Produktion der letzten Jahrhundertwende.

Danach ging es nach Bobbio Pellice, wo die Gruppe auf dem idyllischen Gelände des Restaurantes Laghetto Nais, das über eine eigene Forellenzucht verfügt, mit einem 6-gängigen Menu verwöhnt wurde.
Hier wurden die Gäste zwar nicht von den „Drei Tenören“, aber von den
„Drei Bürgermeistern“ empfangen: Neben dem amtierenden Bürgermeister Marco Cogno gaben auch sein Vorgänger Claudio Bertalot und dessen Vorgänger Marco Armand Hugon der Reisegruppe die Ehre. Alle drei haben sich um das Zustandekommen und die Pflege der Städtepartnerschaft große Verdienste erworben – Marco Cogno hatte erst letztes Jahr bei der Einweihung des Torre-Pellice-Platzes am Walldorfer Bahnhof eine Rede auf Deutsch gehalten.

Am späten Abend wurde in Torre Pellice im fast voll besetzten Kino ein eindrucksvolles Theaterstück zur Geschichte der Resistenza aufgeführt. Mahnend wiesen die Schauspieler darauf hin, dass die Werte Freiheit und Gerechtigkeit, für die die Resistenza vor 70 Jahren kämpfte, die erklärten Grundwerte der italienischen Verfassung sind. Diese sind derzeit in Gefahr, „entrümpelt“ und damit durch die Hintertür teilweise außer Kraft gesetzt zu werden. Für uns ungewöhnlich war die Begeisterung und große Anzahl junger Menschen, die sich auf der Bühne engagiert und künstlerisch professionell mit dem Thema auseinandersetzten und aufbauend auf den historischen Fakten einen aktuellen zeitgeschichtlichen Bezug herstellten.

Am Wochenende bestimmten eher kunstgeschichtliche und touristische Höhepunkte den Tagesablauf. Altbürgermeister Claudio Bertalot und seine Gattin Carlotta begleiteten die Gäste und stellten ihren enormen historischen Sachverstand zur Verfügung. Zunächst ging es nach Saluzzo, ein Kleinod mittelalterlicher Baukunst vor der markanten Kulisse des Monviso-Massivs. Hier überragt eine mächtige Burg die malerische Altstadt mit Treppen und Winkeln, mit prachtvollen Palazzi und schattigen Innenhöfen. Ein überwältigendes Raumerlebnis bot die dreischiffige Stufenhalle der Kirche San Giovanni, die sich von außen mit ihrer Backsteinfassade eher unscheinbar in die architektonische Umgebung einfügt. Selbst Ungläubige können sich der stimmungsvollen Atmosphäre der gotischen Basilika schwer entziehen. Zum Ausgleich ging es am Nachmittag in die Casa Cavassa, einen Adelspalast der piemontesischen Renaissance. Nik Schwarz spendierte den Eintritt in die Museumsräume, wo immer wieder das Ornament des gegen den Strom schwimmenden Lachs als Wappentier auftauchte. Sinnig das Motto: „Droit quoy qi’il soit“, das auch heutigen, sich jedem rechten Windhauch beugenden Politikern gut anstünde.

Den Sonntag verbrachte die Gruppe in der ebenfalls sehenswerten Provinzstadt Pinerolo. Ein großer Handwerkermarkt belebte die Straßen und Plätze, regionale Köstlichkeiten verführten zum Naschen. Wer dem geschäftigen Trubel entgehen wollte, konnte sich in stille Gassen zurückziehen und nach sanftem Anstieg zur Piazzale San Maurizio den Ausblick über die Ziegeldächer in die Ebene genießen.
Wer die Spezialitäten der Region mit nach Hause nehmen wollte, hatte am Montag Gelegenheit, bei Caffarel, deren erlesene Schokoladen auch im Frankfurter Café Bitter & Zart kredenzt werden, feinste Gianduia-Pralinés und Amaretti zu kaufen. Bei der abschließenden Weinprobe in den Hügeln des Pinerolese wurden erstklassige Arneis, Barberas und Dolcettos angeboten. Der Maler und Bildhauer Guy Rivoir, der nächstes Jahr mit einer Ausstellung in Mörfelden-Walldorf weilen wird und am Abend sein Atelier für die Reisegruppe geöffnet hatte, zeigte sein musikalisches Multitalent und begleitete die Weinprobe mit klassischen Liedern und Opernarien zur Gitarre. Am Dienstag ging es bei schönstem Sommerwetter wieder auf die lange Heimreise. Im Bauch des Busses befanden sich umfangreiche Weinvorräte, die manches Abendessen im heimischen Mörfelden-Walldorf zu einem kulinarischen Erlebnis mit sehnsuchtsvollen Erinnerungen an fünf erlebnisreiche Tage in Bella Italia werden lassen.

Freundeskreis Städtepartnerschaft e.V. Mörfelden-Walldorf
Postfach 1130, 64526 Mörfelden-Walldorf
E-Mail: info@freundeskreis-staedtepartnerschaft.eu
Internet: https://www.freundeskreis-staedtepartnerschaft.eu

Text: Alfred J. Arndt, Jutta Duchmann
Fotos: Swetlana Ismar, Alfred J. Arndt

 

 

Die Reisegruppe des Freundeskreises Städtepartnerschaft in den Weinbergen von Barge, eine Nachbargemeinde von Torre Pellice in der Provinz Cuneo. Die Weinprobe war ein kulinarisches und musikalisches Erlebnis zugleich. Die Reisegruppe des Freundeskrei
Die Reisegruppe des Freundeskreises Städtepartnerschaft in den Weinbergen
von Barge, eine Nachbargemeinde von Torre Pellice in der Provinz Cuneo.
Die Weinprobe war ein kulinarisches und musikalisches Erlebnis zugleich.
"Üben Sie keinen autoritären und fanatischen Druck aus, und geben Sie keinem solchen Druck nach. Üben Sie Respekt, und verlangen Sie Respekt". Zur Toleranz zwischen den Religionen von Christen, Muslimen und Juden ruft diese Tafel am Priorat der Mauriziane
„Üben Sie keinen autoritären und fanatischen Druck aus, und geben Sie keinem solchen Druck nach. Üben Sie Respekt, und verlangen Sie Respekt“. Zur Toleranz zwischen den Religionen von Christen, Muslimen und Juden ruft diese Tafel am Priorat der Maurizianer an der katholischen Kirche von Torre Pellice auf.

 

"Für die Gefallenen der Lager". Auf dem marmornen Totenbuch für die in den Konzentrationslagern umgekommen Menschen aus Torre Pellice finden sich bekannte Waldensernamen, wie man sie auch von Straßennamen in Walldorf kennt: Rivoir (Reviol), Gaydoul. A
„Für die Gefallenen der Lager“. Auf dem marmornen Totenbuch für die in den Konzentrationslagern umgekommen Menschen aus Torre Pellice finden sich
bekannte Waldensernamen, wie man sie auch von Straßennamen in Walldorf
kennt: Rivoir (Reviol), Gaydoul. Auch ein Mitglied der Bürgermeister-Familie Bertalot ist darunter.

 

 

Ein Patrizierhaus in Saluzzo. Das Altbürgermeister-Ehepaar Claudio und Carlotta Bertalot führen durch Altstadt und Handwerkermarkt
Ein Patrizierhaus in Saluzzo. Das Altbürgermeister-Ehepaar Claudio und Carlotta Bertalot führen durch Altstadt und Handwerkermarkt.
"Torre Pellice – Wiege des Widerstands. Gewidmet den für die Freiheit Gefallenen". Immer mit frischen Blumen geschmückt, erinnert das kleine Denkmal in der via Beckwith, in unmittelbarer Nähe der zentralen waldensischen Einrichtungen daran, dass "Giustiz
„Torre Pellice – Wiege des Widerstands. Gewidmet den für die Freiheit Gefallenen“.
Immer mit frischen Blumen geschmückt, erinnert das kleine Denkmal in der via Beckwith, in unmittelbarer Nähe der zentralen waldensischen Einrichtungen daran, dass „Giustizia e Liberta“ (Recht und Freiheit) für die Bewohner der Waldenser-Täler keine leere Phrase war. 1943-1945 gingen viele von ihnen mit der Waffe in die Berge, um Widerstand gegen SS und Mussolini-Militär zu leisten.

 

 

Die Casa Valdese – das "Waldensische Haus" - ist Sitz von Synode, Bibliothek und Verwaltung der waldensischen Kirche, die zusammen mit den Methodisten Italiens eine protestantische Kirche mit etwa 50,000 Mitgliedern bildet.
Die Casa Valdese – das „Waldensische Haus“ – ist Sitz von Synode, Bibliothek und Verwaltung der waldensischen Kirche, die zusammen mit den Methodisten Italiens eine protestantische Kirche mit etwa 50,000 Mitgliedern bildet.
Das Denkmal auf dem kleinen Platz vor der katholischen Kirche erinnert daran, dass im Jahr 1844 der König persönlich anwesend war, um das riesige Kirchengebäude einzuweihen, das auf Betreiben des Bischofs von Pinerolo als Gegengewicht zur waldensischen
Das Denkmal auf dem kleinen Platz vor der katholischen Kirche erinnert daran,
dass im Jahr 1844 der König persönlich anwesend war, um das riesige Kirchengebäude einzuweihen, das auf Betreiben des Bischofs von Pinerolo
als Gegengewicht zur waldensischen Bevölkerung des Pellice-Tals von den Maurizianern, dem Hoforden des Königs errichtet wurde.

 

 

Zu Gast bei Freunden. Das Restaurant Laghetto Nais in Bobbio Pellice begrüßt seine Gäste aus Mörfelden-Walldorf mit der Bundesfahne und einem deutschen Willkommensgruß. Das 6-gängige Menu war wundervoll
Zu Gast bei Freunden. Das Restaurant Laghetto Nais in Bobbio Pellice begrüßt seine Gäste aus Mörfelden-Walldorf mit der Bundesfahne und
einem deutschen Willkommensgruß. Das 6-gängige Menu war wundervoll.
"Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden" Das Jesus-Zitat aus dem Johannesevangelium schmückt die Pforte des Doms von Saluzzo, der frisch restauriert auf das von Papst Franziskus ausgerufene Jahr der Barmherzigkeit verweist
„Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden“.
Das Jesus-Zitat aus dem Johannesevangelium schmückt die Pforte des Doms von Saluzzo, der frisch restauriert auf das von Papst Franziskus ausgerufene Jahr der Barmherzigkeit verweist.
Der 92-jährige Giuliano Giordano, Präsident der Partisanenvereinigung ANPI, ehrt seine gefallenen Kameraden anlässlich des Jahrestages des Waffenstillstandes vom 8. September 1943, mit dem Italien aus dem 2. Weltkrieg ausschied und dafür von Wehrmacht
Der 92-jährige Giuliano Giordano, Präsident der Partisanenvereinigung ANPI, ehrt seine gefallenen Kameraden anlässlich des Jahrestages des Waffenstillstandes vom 8. September 1943, mit dem Italien aus dem 2. Weltkrieg ausschied und dafür von Wehrmacht und SS besetzt wurde.

 

Die Banda Cittadini von Torre Pellice spielte Partisanenlieder und die italienische Hymne, 200 Bürger aus Torre Pellice waren gekommen, um der Zeremonie beizuwohnen. Die Banda Cittadini von Torre Pellice spielte Partisanenlieder und die italienische
Die Banda Cittadini von Torre Pellice
spielte Partisanenlieder und die italienische Hymne, 200 Bürger aus Torre Pellice waren gekommen, um der Zeremonie beizuwohnen.
Das Ecomuseo di Feltro in Vilar Pellice, eine ehemalige Filzfabrik des Elsässer Fabrikanten Crumière, zeigt die Geschichte der Filzproduktion im Valpellice. In der Zeit der Industrialisierung boten die Waldensergebiete, nach heutigem Sprachgebrauch, zwei
Das Ecomuseo di Feltro in Vilar Pellice, eine ehemalige Filzfabrik des Elsässer Fabrikanten Crumière, zeigt die Geschichte der Filzproduktion im Valpellice. In der Zeit der Industrialisierung boten die Waldensergebiete, nach heutigem Sprachgebrauch, zwei „harte Standortfaktoren“: Wasserkraft und billige Arbeitskräfte. In der Textilkrise der frühen Achtzigerjahre meldete die Inhaberfamilie Insolvenz an. Die Arbeiterinnen und Arbeiter antworteten mit der Bildung einer Kooperative und der Übernahme der Produktionsanlage, die dank kluger Spezialisierung noch heute arbeitet. Das alte Fabrikgebäude wurde in ein Öko-Museum umgewandelt, in dem man noch funktionierende Maschinen und Werkzeuge sehen und nach Voranmeldung auch in Gang setzen kann.